‚Nur Mutter-Sein‘ wird heutzutage weitläufig ordentlich geringschätzig betrachtet. „Das ist ja aber altmodisch und langweilig, keinen Job zu haben und immer nur für die Kinder da zu sein!“ Solche Bemerkungen bekommen wir in unserem Alltag immer wieder zu hören. Obwohl, es ist ja nicht so, dass ich als Mutter keinen Beruf habe. Nur ist es kein bezahlter Beruf und demzufolge in den Augen der Gesellschaft eine Beschäftigung mit wenig Wertschöpfung. Manchmal klingt es auch so: „Niemals könnte ich mich so für meine Kinder aufopfern wie Du es tust!“ Es ist in unserer Gesellschaft ganz normal geworden, seine Kinder so früh wie möglich fremd betreuen zu lassen, um seinem eigenen Beruf und seinen eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Mittlerweile tun dies ja fast alle so. Es ist bereits politischer Mainstream geworden und wird kaum von jemandem mehr ernsthaft hinterfragt. Ganz nach dem Motto: „Wenn es alle so tun, muss es schliesslich das Richtige sein“. Und wer aus der Reihe tanzt, wird sofort als abnormal betitelt.
Aus Angst, in ihrem Leben den Anschluss an den Beruf oder die Karriere zu verlieren oder sonst irgendwo zu kurz zu kommen, weichen viele Erwachsene einem tieferen Zusammen-Sein mit ihrem Kind aus. Sie fürchten sich davor, durch das Zusammen-Sein mit den Kindern ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund stellen zu müssen und gleichzeitig auf Vieles verzichten zu müssen.
Aber ist das wirklich so? Bedeutet Mutter-Sein wirklich ein Aufopfern, ein Verzichten, ein Verpassen oder nur Langeweile? Und ist es gar wirklich altmodisch? Nun, diese Fragen zu beantworten ist gar nicht so einfach, da es verschiedene Variationen gibt, Mutter zu sein. Wir können demzufolge nur von unseren eigenen Erfahrungen berichten – und diese haben für uns alles andere als mit Verzichten und Aufopfern zu tun! Für uns ist klar, dass Mutter-Sein in einer Haltung von Gewahrsein, Liebe und Respekt sogar höchst modern ist. Wir basieren auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurologie, der Biologie sowie der Psychologie und lassen diese in unser Zusammen-Sein mit unseren Kindern einfliessen. Diese Art von Mutter-Sein hat allerdings nichts mit Kaffeekränzchen, mit stundenlangem ‚am Herd stehen‘ und mit Erziehung im klassischen Sinne zu tun.
Im natürlichen Zusammen-Sein mit Kindern verpasst man überhaupt nichts was das Leben wirklich ausmacht. Im Gegenteil. Kinder lassen die Erwachsenen unmittelbar teilhaben an ihren ganz natürlichen Fähigkeiten, an ihrem freiheitlichen Zugang zur Welt. Dadurch erhält man als Erwachsener die wunderbare Chance, die verborgenen und in der eigenen Kindheit nicht erweckten Potenziale zurückzugewinnen und so seine eigenen ungenutzten Fähigkeiten sichtbar zu machen, neu zu entdecken, zu aktivieren und zu entwickeln. Dies kann im Sinne einer Nachentfaltung wie eine Revision des eigenen Verhaltens sein sowie zu neuer Selbsterkenntnis und Bewusstseinswandel führen und dabei helfen, selbstbestimmt, unbeschwert und frei am Leben teilzunehmen. Durch diese besondere Form der Nachentfaltung erhält man die Chance, zurück zur eigenen Wesensnatur zu finden.
Ist man in einer achtsamen und präsenten Haltung mit Kindern unterwegs, kann man immer mehr wahrnehmen, was in seinem eigenen Inneren abläuft. In Augenblicken, in denen man erkennt was man tut und in denen es gelingt, seine eigene Reaktion zu verändern, findet inneres Wachstum statt. Je mehr man sich seiner selbst bewusst ist, desto mehr ist man auch in der Lage, für sich selbst und angemessen für ein Kind zu sorgen. Es ist genau so, wie Heinrich Jacoby es formulierte: „Der achtsame Umgang mit Dingen wie mit Menschen entspringt dem achtsamen Umgang mit sich selber.”
Es scheint paradox: Je intensiver, bewusster und achtsamer man in die Welt der Kinder eintaucht, desto mehr gelingt es auch eine bewusste Metaperspektive einzunehmen. Obwohl man eintaucht, taucht man nicht unter (was beängstigend sein könnte), sondern man taucht empor. Nur in einem bewussten Zustand kann man sich fragen: Was bringt mich dazu, in dieser Situation genau so und nicht anders zu reagieren? Was braucht mein Kind in diesem Augenblick? Was gibt es in dieser Situation für sinnvolle Lösungen? Wo darf ich in das Feld des Kindes eintreten, wo muss ich zurücktreten?
Und ist es nicht so, dass oftmals gerade in der Einfachheit die grösste Wahrheit liegt? Indem man nämlich seinen inneren Kompass auf das Wohl des Kindes richtet, richtet man ihn gleichzeitig auch auf sein eigenes Wohl und letztlich auch auf das Wohl der Gesellschaft. Wir kennen viele Mütter die meinen, durch das ständige Zusammen-Sein mit ihren Kindern keine Zeit mehr für sich selber zu haben. Es ist aber naturgegeben so, dass das primäre Bedürfnis insbesondere einer Mutter darin besteht, für ihr Kind zu sorgen. Da man als Mutter insbesondere durch Schwangerschaft und Stillen auf eine ganz besondere Weise mit einem Kind verbunden ist, ist man sozusagen Eins mit dem Kind und ein getrenntes Ich existiert nicht mehr. Indem man nun sein Kind nährt, wird man gleichzeitig von seinem Kind genährt. Sicherlich kann es ein Mehrwert sein, wenn man zwischendurch Unterstützung bekommt und sich Zeit nehmen kann für sich allein. Doch wer das Zusammen-Sein mit Kindern als Freude betrachtet, braucht automatisch weniger Zeit für sich alleine. Ein Kind, das fühlt, dass seine Mutter das Zusammen-Sein mit ihm genießt, strahlt die zufriedenen Gefühle der Mutter wieder zurück. Im Bewusstsein, dass man durch das Zusammen-Sein mit Kindern sich selber beglückt und an sich wachsen kann, braucht man viel weniger externe Stimulationen, um sich gut zu fühlen.
In diesem Sinne bedeutet ‚Mutter-Sein‘ sowie ein Emportauchen in das Zusammen-Sein mit den eigenen Kindern nie ein Verlust, ein Nachteil, ein Verzichten, ein Aufopfern oder ein Verpassen von irgendetwas, sondern wieder einmal das Gegenteil: eine außerordentliche individuelle aber auch gemeinschaftliche Bereicherung, im Innen wie im Aussen.
Leider habe ich das nicht so empfunden, dass „wenn ich mein Kind nähre, es mich nährt“, wie du geschrieben hast. Ich empfand die Säuglingsmonate als finale Destruktion meiner Restidentität, auch weil ich mein Kind alleine aufziehen musste. Ich fand für mich keine neue Identität, nur Abgrund und Verzweiflung. Erst jetzt, wo meine Tochter 5 Jahre alt ist und ich als schulische Heilpädagogin 3 Tage die Woche (= 4 Tage verbringe ich immer noch mit ihr, plus die vielen Schulferien) arbeiten kann, empfinde ich wieder Freude und Leben in mir.
Wunder, wunderschoen. Mein Sohn ist gerade mal 8 Monate alt. Euer Bericht im TV kam zur richtigen Zeit, mein Sohn ist das Groesste fuer mich.Vorher rannte ich von Projekt zu Projekt, war 25 Jahre im Berufsleben, das mich ein Kind so zufrieden mache koennte, haette ich im Leben nicht fuer moeglich gehalten. Meine Mutter hat 5 Kinder grossgezogen, Vollzeitmama, sie war immer da fuer uns, ich hatte das Glueck, auf einem Bauernhof gross zu werden. Heute erst sehe ich, welch grosse Aufgabe meine Eltern seelig damit wahrnahmen und ich moechte deren Beispiel folgen, aber in geaenderter Form. Ich habe in meiner Schulzeit viele Traumata erlebt, keine schoenen Erinnerungen, es beschaeftigt mich leider noch heute. Mein Sohn soll es einmal besser haben, ich hoffe, ich finde einen guten Weg. Eure Reportage macht mir Mut!! danke
Liebe Maria
Das freut mich, wenn die Reportage Dir Mut macht. So soll es sein!
Ich wünsche Dir viele erfüllte Zeiten beim Eintauchen ins Muttersein.
Herzliche Grüsse
Doris Gantenbein