Plädoyer für Bildung zu Hause ohne Lehrerpatent

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Plädoyer für Bildung zu Hause ohne Lehrerpatent

Obwohl die Meinung der öffentlichen Hand bereits gemacht ist, möchten wir dieses Thema aufgreifen und die Sicht aus einer Familie kund tun, die Bildung zu Hause praktiziert und die sowohl ein Lehrerdiplom als auch ein Ergänzungsstudium in Neuer Lernkultur besitzt. Um vorab unsere grundsätzliche Ansicht klar zu stellen:

Wir sind gegen ein zwingendes Lehrerpatent in der Familie, sondern für nachgewiesene Bildung der Eltern!

In verschiedenen Kantonen der Schweiz wird “Bildung zu Hause (BzH), häuslicher Unterricht, Homeschooling, Unschooling, Freilerner” oder welche Begriffe auch immer man diesem Thema alles zuweist, von öffentlicher Seite her immer mehr thematisiert (wir nennen es nachfolgend BzH). Dabei möchten die Behörden die Auflagen für BzH immer mehr verschärfen. Dabei war der Kanton ZH Vorreiter, indem er in einer neuen Gesetzgebung BzH zwar nicht verboten hat, aber die zu erfüllenden Auflagen insofern verschärft hat, indem er ein Lehrerpatent in der Familie als Voraussetzung für BzH einfordert. Andere Kantone wollen dem Beispiel des Kantons ZH nachziehen, ohne darüber richtig zu reflektieren. Es kommt bei uns jedenfalls so an.

Was macht denn ein Lehrerpatent überhaupt aus?

  • Ein Lehrer, eine Lehrerin soll sich durch eine gewisse Allgemeinbildung auszeichnen (Betonung auf soll).
  • Es zeichnet einen Lehrer aus, dass er vorgegebene Lehrinhalte in strukturierter Form einer Gruppe von ca. 15 – 25 unmündigen Menschen im Alter zwischen 6 – 16 vermitteln und überprüfen kann.
  • Daneben hat ein Lehrer ein Musikinstrument gelernt und allenfalls Sport praktiziert.
  • Ein Lehrerpatent positioniert sich als akademische Ausbildung.

zu Punkt 1

Dies bringen andere Ausbildungen und andere Lebenspläne ebenfalls mit, vielleicht sogar mehr und umfassender als ein junger Lehrer, der gerade aus der Schule kommt. Es ist in einer pluralistischen Welt längst nicht das Lehrerpatent alleine, das von Allgemeinbildung zeugt.

zu Punkt 2
In einer Familie, in der BzH praktiziert wird, ist eine Qualität, die wie oben beschrieben wird, gar nicht von Belang. Im Gegenteil: sie könnte in der Familien-Praxis gar kontra-produktiv oder hinderlich sein. In einer Familie wird vor allem die 1:1 Beziehung praktiziert, welche ganz andere Qualitäten fordert, wie z.B. Mitgefühl zeigen und liebevolle Beziehung leben. Wir unsererseits praktizieren zusätzlich das Prinzip der vorbereiteten Umgebung, in welcher das Lernen aus intrinsischer Motivation heraus geschehen soll. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass viele Lehrer dieses Prinzip nicht einmal vom Ansatz her kennen.

Die Überprüfung und Reflektion ist für viele in der BzH-Welt ein schwieriges Problem. Dies hängt wiederum von vielen Faktoren ab. Die einen verstecken sich vor Transparenz (Problem des Weltbildes). Den anderen fehlt überhaupt die Fähigkeit zur Reflektion (mangelnde Bildung). Hier verstehen wir die Anliegen und die Schwierigkeiten in der Umsetzung der öffentlichen Hand, resp. der Behörden mit BzH-Familien. Hier sollte von BzH-Eltern auch etwas verlangt werden können.

Von Eltern mit einem Lehrerpatent erwartet man automatisch, dass diese vermitteln und reflektieren können. Können dies wirklich nur Eltern mit einem Lehrerpatent? Zelebriert sich hier das Schulsystem nicht selber?

zu Punkt 3
Dies bringen ebenfalls sehr viele erwachsene Menschen selbstverständlich mit, ist aber unerheblich für die Praxis von BzH.

zu Punkt 4
Es ist wirklich tiefer zu überprüfen, welchen Wert eine akademische oder nicht-akademische Ausbildung im Zusammenhang mit BzH hat. Nach unserer Meinung ist ein Lehrerpatent nur eine von unzähligen Möglichkeiten, die Voraussetzungen für BzH zu erfüllen. Wir würden uns in einer pluralistischen Welt von der Behörde mehr Offenheit für unterschiedliche Lebensentwürfe wünschen.

Es ist nach unserer Meinung kein Lehrerpatent für BzH notwendig, wohl aber Bildung der praktizierenden Eltern.

Die Bildung der Eltern könnte sehr wohl in einem profunden Gespräch mit den Behörden, vielleicht sogar mit dokumentierten Lebensläufen nachgewiesen werden. Aus einer deutschen Statistik wissen wir, dass 80-85% der Kinder von Akademikern und Beamten ein Studium absolvieren. Bei Arbeiterkindern sind es nur noch 12%. Dass heisst, dass sich Akademiker selbst rekrutieren und die Chance eines Studiums für Kinder aus gebildeten Schichten zwanzigmal wahrscheinlicher ist als die für Arbeiterkinder. Wir sind Welten von Chancengleichheit entfernt und es wird ständig schlimmer. Also für Akademiker, egal welcher Herkunft, müssen sich Behörden im Bezug auf BzH keine Sorgen machen.

Wo beginnt nun Bildung und wo hört sie auf? Dies müsste man vertiefter heraus arbeiten. In einer abgeschlossenen Berufslehre mit Weiterentwicklung ist implizit auch schon immense Bildung enthalten. Auch in alternativen Lebensentwürfen ohne staatliches Diplom kann viel Bildung enthalten sein. Herzensbildung ist ebenfalls eine unermessliche Bildung. Dies müsste man von Fall zu Fall anschauen. Es wäre aber Sache der Behörde, diese Bildung zu hinterfragen und einzuschätzen. So hätten die Behörden in der Vorevaluation der Eltern auch eine mitverantwortliche Rolle für die Bildung von BzH-Kindern. Wie es dann in der Familie mit der Bildung der Kinder herauskommt, ist jedoch immer ungewiss. Dafür übernimmt die Behörde und auch die Lehrerschaft in der Schule keine Verantwortung. Auch die Qualität der regelmässigen Reflektion über die BzH-Kinder zeigt den Behörden den Bildungsstand der Eltern auf. Auch hier könnten die Behörden Einhalt gewähren, falls die Qualität der Reflektion zu Wünschen übrig lässt. Dies ist halt wieder eine Sache der Transparenz und der Bildung.

Es ist auch unsere Meinung, dass Kindern immer eine maximale Chance zu einer guten Bildung gewährt werden muss. Wenn es in der Familie nicht funktioniert, dann vielleicht in der Schule. Die Umkehrung dieser Aussage müsste jedoch ebenfalls gelten.

Auch sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden. Im Kanton AR sind z.B. von 7000 Schulkindern ca. 20 Kinder, welche BzH praktizieren dürfen (Information aus NZZ). Das sind weniger als 3 Promille (!) aller Schulkinder des ganzen Kantons. Dass Familien gerade aus Bildungsüberlegungen einen anderen Kanton auswählen, sollte inspirieren anstatt einfach den Kanton ZH nachzuahmen.

Wir rufen dabei in Erinnerung, dass in den USA Eltern geehrt werden, welche BzH praktizieren, weil sie die öffentliche Hand entlasten. In Kanada unterstützt der Staat BzH sogar finanziell (bis $1000 pro Kind pro Jahr). In Australien gibt es Staaten, in denen die öffentlichen Schulen 1 Tag pro Woche die Türen für Homeschooler öffnen.

Es sollten innovative Lösungen für dieses Thema gesucht werden. Innovative Lösungen sind unserer Ansicht nach solche, die u.a. Eltern zu Transparenz und zu fundierter Reflektion herausfordern und solche, welche den Behörden helfen, über den Tellerrand des Schulsystems hinaus zu schauen.

Was denken nun die Unschooler oder Freilerner über unsere Ansichten? Wie denken Homeschooler darüber? Wie denken die Behörden darüber? Wie denken Eltern darüber, welche die Kinder in die Schule schicken? Wie denken Lehrer darüber?

Im Voraus danken wir für konstruktive Rückmeldungen.

By |2009-09-08T15:00:00+02:008. September 2009|Artikel, Behörden, Philosophie|4 Comments

4 Comments

  1. Claudia und Roland Mueller 22. September 2009 um 11:08 Uhr - Antworten

    Erfolgreiches Home Schooling hängt in der Tat nicht davon ab, ob ein Elternteil über ein Lehrerpatent verfügt. Viele Eltern entscheiden sich nämlich gerade deshalb für Home Schooling, weil sie alternative pädagogische Konzepte verfolgen und nicht einfach den Bildungsansatz der öffentlichen Schule nach Hause übertragen wollen. Für eine Bewilligung für Home Schooling sollten deshalb andere Kriterien entscheidend sein. Dass viele Kantone nun dem Beispiel des Kantons Zürich folgen und die Bewilligungspraxis restriktiver gestalten wollen, ist ein klarer Rückschritt. Was spricht denn gegen Bildungsfreiheit? Die Offenheit für alternative Konzepte schafft Vielfalt, woraus in der Bildungslandschaft eine gegenseitige Befruchtung und Bereicherung folgen kann.

  2. Regula Bott 14. September 2009 um 21:59 Uhr - Antworten

    Viele Eltern können zu ihren Kindern eine ganz besondere, eben liebevolle Beziehung aufbauen. Deshalb ist es ihnen auch besonders wichtig, dass sich ihre Kinder ihren Fahigkeiten entsprechend entwickeln können und auch besonders dort gefördert werden können, wo sie ihre Stärken haben. Genau diese enge Beziehung, die zwischen Eltern und ihren Kindern besteht, macht das Modell des Homeschoolings so erfolgreich. FAZIT: diese enge Beziehung, die eben den Erfolg des Homeschoolings ausmacht, die kann man nicht delegieren, auch nicht an eine Person mit einem Lehrdiplom.
    Noch etwas ganz anderes kommt mir zu diesem Thema in den Sinn: ich finde, es gäbe immer wieder so Kämpfe zwischen den Homeschoolern, wer es denn nun richtiger mache, jene die homeschoolen oder jene, die unschoolen. Wichtiger wäre für mich, dass wir uns gegenseitig wertschätzen (lernen). Denn wir alle investieren sehr viel Zeit und Herzblut in die Ausbildung unserer Kinder, egal auf welche Art und Weise wir das tun.

  3. Sybille 10. September 2009 um 16:11 Uhr - Antworten

    Ich fände es verkehrt, wenn man fürs Homeschooling ein Lehrerpatent haben müsste. Ich bin damit einverstanden, dass das zuständige Schulamt Kontakt und Austausch mit den Homeschoolern pflegt und den Bildungsweg passiv mitverfolgt, aber wenn man jetzt Lehrer sein muss – langfristig würde diese Ansicht dazu führen, dass man eine Elterntauglichkeitsprüfung bestehen muss, bevor man überhaupt Kinder kriegen darf.
    Danke für die Schilderung, wie es in USA und Kanada läuft.
    Schönen Gruß,
    Sybille

  4. Regula Bott 9. September 2009 um 16:47 Uhr - Antworten

    Homeschoolen ohne Lehrerpatent ist ein tolle Sache
    ich bin froh, dass ich nicht die einzige Person bin, die das so sieht. Was ich auch noch wichtig finde ist die Tatsache, dass das die einzige Form in der Gesellschaft ist, wo man Familie überhaupt so richtig erleben und geniessen kann. Nicht nur Lehrer, auch andere Personen in unserer Gesellschaft, sind dazu fähig. Dies hast Du in Deinem Blog schon ganz toll und ausführlich dargestellt.
    Hat die Gesellschaft nicht auch Angst vor den Erfolgen, die unsere Kinder dereinst in Ihrem Leben "verbuchen" können? Und wäre es "nur" die Tatsache, dass sie viel zufriedener wären? Oder sie sind nicht so ausgebrannt, vom vielen, sinnlosen Lernen? (dazu gibt es verschiedene Studien von amerikanischen Universtäten).

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Unschooling

....... ist ein vom Kind geleitetes Lernen im normalen Wohn- und Lebensumfeld der Kinder, zusammen mit ihren Eltern oder nächsten Bezugspersonen ohne jeglichen Versuch die traditionelle Schule und ihre Lehrpläne nachzuahmen. Es gibt daher keinen geplanten Unterricht oder bestimmte Zeiten am Tag, für die schulähnliche Aktivitäten vorgeschrieben sind. Themen werden behandelt, wenn das Interesse des Kindes es verlangt. Die Eltern - oder die Personen, mit denen das Kind zusammenlebt – sind weniger Lehrer als Unterstützer und Begleiter der Lebens- und Lernprozesse.

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