Unser Alltag ohne Schule und ohne Ferien!

///Unser Alltag ohne Schule und ohne Ferien!

Unser Alltag ohne Schule und ohne Ferien!

Gehen die Schulferien der Schulkinder langsam dem Ende entgegen und steht der Schulbeginn wieder vor der Türe, so prasseln auf uns jedes mal die gleichen Fragen nieder. Die Leute wollen wissen, ob für uns nun auch die Ferien zu Ende sind und wann wir mit dem Unterrichten beginnen! Um es gleich vorneweg zu nehmen: Nein, für uns sind die Ferien nicht zu Ende. Das können sie gar nicht, weil sie nie begonnen haben! Das Wort Ferien gebrauchen wir nämlich nur, wenn wir verreisen, also sozusagen als Synonym für Urlaub. Andere Ferien haben und brauchen wir schlicht nicht. Denn sucht man im  Wikipedia nach der Bedeutung von Ferien, dann kann man Folgendes lesen: „Mit Ferien werden Zeiträume bezeichnet, in denen eine Einrichtung vollständig schließt, um ihren Angehörigen andere Tätigkeiten, insbesondere Erholung zu ermöglichen.“  

Benutzt man das Wort Ferien allerdings im Sinne von Nicht-Schule, so könnte man auch sagen, dass wir immer Ferien haben. An dieser Stelle werden wohl bei einigen die Alarmglocken klingeln. Denn unter Ferien verstehen viele Nichtstun, faul herumliegen, sich langweilen, stundenlang vor dem Fernseher hocken, usw.  Nun, sie können sich wieder beruhigt zurücklehnen, denn bei uns sieht es definitiv anders aus.

Aber was tun denn unsere Kinder, wenn all die anderen Kinder in der Schule sind?

Obwohl die Gestaltung unserer Tage einen regelmässigen und immer wiederkehrenden Ablauf hat mit gemeinsamen Mahlzeiten, Projekten und Ritualen, so verläuft doch kein Tag wie der andere. Deshalb werden wir untenstehend in groben Zügen drei nacheinander erlebte Tage beschreiben, welche sich in der vergangenen Woche ereigneten und einen kleinen Einblick in unseren Alltag gewähren.

Der Tag beginnt jeweils ganz friedlich und gemächlich. Es ist bei uns üblich, dass die Kinder ausschlafen. Das sind sie sich seit ihrer Geburt gewöhnt und kennen es kaum anders. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen – welche wir sogar an einer Hand abzählen können – an denen wir unsere Kinder frühmorgens oder in der Nacht, z.B. wegen Verreisens in den Urlaub oder sonst einem wichtigen Vorhaben wecken mussten. Aber keine Sorge, unsere Kinder fänden es furchtbar, wenn sie bis zum Mittag schlafen müssten, dafür sind die Tage viel zu spannend. Also, wenn sie ausgeschlafen sind, und das ist zur Zeit plus minus 7 Uhr, stehen sie eines nach dem anderen in ihrem eigenen Rhythmus auf und gehen dann, wenn sie vollständig wach sind, ihren individuellen Tätigkeiten nach. Dabei interessiert sie die Uhrzeit und der Wochentag nicht und ein Sonntag unterscheidet sich bei uns oftmals nicht von einem Montag.

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Am Tag Eins z.B. verbrachten unsere beiden Töchter die meisten Stunden des Tages mit Briefeschreiben. Das hat bereits nach dem Aufstehen begonnen, als sie sich noch vor dem gemeinsamen Frühstück an die Arbeit machten. Sara hat drei Briefe auf Deutsch, einen auf Englisch und zudem eine sehr lange Mail auf Deutsch und eine etwas kürzere auf Englisch geschrieben. Ausserdem bekam sie einen Brief in spanischer Sprache und den haben wir zusammen entschlüsselt. Olivia hat zwei Briefe auf Deutsch und einen auf Französisch geschrieben. Zwischendurch kamen beide in den Genuss, für je 3/4 Stunden im Nachbarsort musizieren zu gehen. Während unsere beiden Töchter also sehr viel Zeit ins Briefeschreiben investierten, so verbrachte unser Sohn Nalin einige Zeit bei einem Nachbarsbauern und durfte bei den Arbeiten im Stall und bei den Kühen mithelfen. Hier klingelt wieder die Alarmglocke, denn im Stall lernt man ja nichts. Oder doch?

Wir meinen DOCH, denn indem Nalin auf ganz natürliche Art und Weise ins Arbeitsfeld ‘Pflanzen, Tiere, Lebensräume’  eintauchen darf, geschieht der Lerneffekt zwar unscheinbar, aber trotzdem beachtlich: Heute wurden einmal mehr Kühe gezählt und es wurde ausgerechnet, wie viele Kühe nun mehr sind als das letzte Mal. Es wurde ausgerechnet, wie alt alle Familienmitglieder sowie die Bäuerin und unsere Freunde waren, als der Bäuerin vor 15 Jahren die Kühe abgehauen sind. Es wurde geputzt und gemistet und mit der Bauernfrau spannende Diskussionen rund um das Bauernleben und all die vielen Maschinen auf dem Bauernhof, wie z.B. der Traktor, geführt. Zudem bildete sich Nalin auch bei uns Zuhause anhand Bilderbücher, Geschichten und Sachbücher intensiv zum Thema Bauern weiter und es wurden Kühe gemalt, Heuballen für den Traktoranhänger gebastelt, Ställe gebaut, Bauerngeschichten gelesen, usw. Nebst seinen Bauernarbeiten hat er am Tag Eins gemeinsam mit Olivia unsere Haustüre beschriftet. Schliesslich löste bei Nalin der Begriff  ‘3/4 Stunde’ die Frage aus, was denn das genau ist. Wir zeichneten sogleich zusammen mehrere runde Kreise, teilten diese Kuchen in viele Teile und tauchten somit in die Welt der Brüche ein, was ihm sichtlich Spass bereitete. Während Olivia und Nalin später noch einige Zeit draussen mit Nachbarskindern am Spielen waren, verschaffte sich unsere älteste Tochter etwas Abwechslung nach den vielen Briefen mit einer Grafikarbeit am PC, wobei sie aus mehreren Fotos ein einziges Foto daraus machte. Das war gar nicht so einfach für sie als Laie und ohne spezielles Grafikprogramm. Dies führte zu mehreren kniffligen Situationen, in denen logisches Denken gefragt war und immer wieder eine andere Lösung gesucht werden musste, bis es letztlich funktionierte. Gegen den Abend durfte Olivia noch in ein ‘Kreatives Kindertanzen‘ gehen und nach dem gemeinsamen Nachtessen versanken alle drei Kinder ins Thema Griechisch und machten Wortschatztraining, da der Mama noch ein Telefonat in griechischer Sprache bevorstand. Als Abschluss bis zum gemeinsamen Abendritual widmeten sie sich alle drei einem Rollenspiel.

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Tag Zwei: Das Rollenspiel von Tag Eins wurde frühmorgens fortgesetzt und etwas später bei Sara und Olivia mit erneutem Briefeschreiben abgelöst. Sara unterbrach die Arbeit des Briefeschreibens an diesem Morgen bloss für ein einziges mal, als sie für Kaffeküchlein einen Teig zubereitete. Unterdessen baute Nalin für das Rollenspiel noch einige Details und liess sich anschliessend eine Geschichte vorlesen. Ausnahmsweise allerdings nicht lange, denn inzwischen war es draussen in unserem Garten lebendig geworden: Der Sand von unserem Sandhaufen wurde von drei Leuten abgeholt und zu einer Freundesfamilie gebracht. Nalin war im Glück, dass er mithelfen durfte. Während der Pause der Arbeiter liess sich Nalin drinnen blicken und übernahm sogleich das Füllen der Cupcakeförmchen mit dem Kuchenteig. Olivia hatte sich unterdessen an eine Werkarbeit gemacht, woraus eine Blume entstehen soll. Die Zeit verging und während Sara noch ganz versunken ins Briefeschreiben war, halfen mir später Olivia und Nalin bei der Zubereitung des Mittagessens: beim Gemüserüsten und anschliessendem Verwandeln in Herzen und Blumen, beim Würzen der Speisen, beim Kellenrühren in der Pfanne und natürlich beim Probieren! Durchschnittlich kochen oder backen die Kinder etwa einmal pro Woche selbständig ein Gericht oder ein Dessert, welches sie im Voraus in einem Kochbuch ausgesucht und dafür gesorgt haben, dass alle Zutaten im Hause sind. Der Nachmittag und auch der Abend war geprägt von lesen, zeichnen und malen, Werkarbeit der Blume fortführen, Gartenarbeit, Briefeschreiben, Flöte und Klavier spielen.

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Tag Drei: Der Morgen begann für Sara nach dem Aufstehen (7 Uhr) gleich wieder mit einem englischen Brief und bei dieser Arbeit blieb sie mit Ausnahme des Frühstücks und zwischendurch kurze Neugier bei den Experimenten von Nalin – fast ununterbrochen bis zum Mittagessen! Olivia schrieb noch ihren letzten Brief auf französisch und klebte nachher mit Zahlen die 7-er Reihe  vom Einmaleins an eine Wand. Anschliessend leistete sie Nalin Gesellschaft, welcher sich heute dem Experimentieren verschrieben hatte. In unserem Alchemistenlabor experimentierte er diverse Dinge und inspiriert anhand eines Buches machte er die ‘Geisterhand’, und danach wollte er noch Draussen das Raketenexperiment durchführen. Dieses Experiment nahm wiederum einige Zeit in Anspruch und wollte auch erst nach mehreren Versuchen gelingen. Schliesslich gingen Olivia und Nalin zum nahegelegenen Briefkasten die fertig geschriebenen Briefe einwerfen und spielten noch etwas draussen. Als sie hereinkamen, widmeten sich beide einem Buch und lasen eine Weile darin, bis sie mir wieder beim Zubereiten des Mittagessens halfen.

Wäre die Reitlehrerin nicht krank gewesen, so hätten an diesem Nachmittag Olivia und Sara einige Stunden zusammen in einer Gruppe mit anderen Kindern bei den Pferden verbracht. Stattdessen machten wir uns wegen des nebligen Wetters auf einen ausgedehnten Spaziergang mit dem Ziel die Sonne zu finden, was uns auch gelungen ist. In der verbleibenden Zeit bis zum Nachtessen durfte ich allen Dreien eine Geschichte vorlesen, es wurden noch Rollenspiele gemacht, an der Blume weiter gebastelt und mit dem gemeinsamen Abendritual wurde auch dieser erfüllte Tag abgeschlossen.

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Natürlich ist diese Auflistung nicht komplett und es gäbe noch so viele kleine und oftmals auch bedeutende Tätigkeiten, welche wir zusätzlich auflisten könnten. Es ist auch klar, dass diese Tage einmalig in ihrer Art und Weise waren und auch jeder neu kommende Tag wiederum einmalig und völlig anders als die beschriebenen Tage sein wird. Vielleicht ist aufgefallen, dass unsere beiden Töchter zum Teil recht viel Zeit ins Briefeschreiben investiert haben. Sie zählen die Stunden nicht und sie schreiben keine Briefe, weil sie Briefe schreiben müssen. Sie tun es, weil sie es tun wollen und es ein authentisches Bedürfnis ist dies zu tun. Nähmen wir alle diese Stunden von diesen drei Tagen zusammen, so wäre bestimmt das Monatspensum an Deutsch-, Englisch- und Französisch-Lektionen mehr als erfüllt. Und wenn sie sich nun fragen, ob denn nicht die Mathematik etwas zu kurz kommt, dann möchten wir beiläufig erwähnen, dass es sich nicht lohnt, sich darüber Sorgen zu machen. Aus unserer langjährigen Unschooling-Praxis wissen wir, dass auch die Mathematik zum richtigen Zeitpunkt stattfindet, wie wir das hier und hier und hier schon einmal beschrieben haben. Wir erleben auch, dass unsere Kinder ein Thema meistens während einer längeren Phase behandeln und somit in aller Tiefe erleben und erfahren. Welches Thema morgen dominiert, wissen wir heute noch nicht.

So findet Lernen bei uns statt, jeden Tag neu. Ohne Stundenplan, ohne vorgeschriebene Pausen, ohne Hausaufgaben, ohne Prüfungen. . . . . . . ohne Schule und ohne Ferien. Dafür mit viel Begeisterung, grossem Engagement und selbstverständlich selbstbestimmt.

By |2012-11-07T16:00:00+01:007. November 2012|Alltag|0 Kommentare

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Unschooling

....... ist ein vom Kind geleitetes Lernen im normalen Wohn- und Lebensumfeld der Kinder, zusammen mit ihren Eltern oder nächsten Bezugspersonen ohne jeglichen Versuch die traditionelle Schule und ihre Lehrpläne nachzuahmen. Es gibt daher keinen geplanten Unterricht oder bestimmte Zeiten am Tag, für die schulähnliche Aktivitäten vorgeschrieben sind. Themen werden behandelt, wenn das Interesse des Kindes es verlangt. Die Eltern - oder die Personen, mit denen das Kind zusammenlebt – sind weniger Lehrer als Unterstützer und Begleiter der Lebens- und Lernprozesse.

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